Da ist er: der KURKOLLER. 14 Tage hat es gedauert bis ich (wie einige andere Mütter hier auch) in Tränen ausbreche. Bei einigen Müttern war es natürlich direkt am Anfang schwer als man sich vom Partner verabschiedete. Es flossen Tränen und das Vermissen setzte ein. Ich habe keinen Partner. Ich habe aber 2 Töchter, die mich in dieser Mutter-Kind-Kur bisher glücklich lachend begleiten.
Nach dem Frühstück verabschiedete sich die kleine Tochter mit Schulranzen bepackt Richtung „Piratenland“ hier auf dem Kurgelände. Die besondere Tochter brachte ich in die „Kajüten“ mitsamt ihrem Turn- und Schwimmzeug. Eine Einheit Einzel-Krankengymnastik und Bewegungsbad in der Gruppe mit anschließender Traumreise stehen auf ihrem Therapieplan. Für mich ging es auch sofort um 08:45 los Richtung Panorama-Raum zum Workshop „Nobody is perfect, Teil III“. Wir bekamen nach kurzem Rückblick auf die Termine I und II eine Skala, in der wir uns „ALLEIN“ einschätzen sollen.
Und schon bei dem Wort „ALLEIN“ kam bei mir Unwohlsein. Ich blickte mich um. Alle Mütter fingen an die 4 Punkte (Ich-Autonomie, Du-Bezogenheit, Ruhe-Beständigkeit und Bewegung-Veränderung) für SICH einzuzeichnen. Ich wiederum blockierte. Ich bin nicht allein. Ich habe eine geistig-behinderte Tochter die nie selbstständig sein wird. In Gedanken malte ich die Skala und mir schossen bei dem Ergebnis Tränen in die Augen. Da war sie: meine Verletzbarkeit. Ich sah auf dieser Skala, dass ich wenig bis gar nicht an mich denke. Dass Ruhe und Beständigkeit da sein MÜSSEN; Bewegung und Veränderungen kaum da sind. Ich riss mich zusammen und hörte halb abwesend weiter zu.
Die nächste Aufgabe sollte sein seinen Partner einzuschätzen. Passend dazu kullerten nun bei mir die ersten Tränen. Partner? Hab ich nicht. Es gab dann den Zusatz, dass man auch einen Menschen nehmen kann, der einem nah steht. Ich atmete auf und dachte an meine kleine Tochter. Ok, warum nicht? Also sah ich erneut auf die Skala hatte meine 8-jährige vor Augen. Ihr endlich ausgeprägtes ICH-Verhalten keimt in den letzten Monaten stark auf. Und darauf bin ich stolz. Ruhe und Beständigkeit ist bei diesem Wirbelwind eher selten der Fall. Deswegen auch ein hoher Wert bei der Bewegung-Veränderung. Ich malte nur im Kopf und fasste dieses Blatt Papier nicht weiter an, denn was das Ergebnis war: die Überschneidung zwischen meinen Werten (gemeinsam mit der besonderen Tochter) und der kleinen Tochter waren minimal. Sozusagen 2 Welten. Ich hörte wie die anderen Mütter fröhlich auf ihre Papiere blickten weil sie mit ihrem Partner viel gemeinsam hatten. Und ich wiederum war noch nicht mal in der Lage die Skala für MICH ALLEINE (weil ich eben mit der besonderen Tochter NICHT ALLEINE bin) auszuwerten. Ich stand einfach auf und verliess den Raum. Still. Leise. Suchte mir mein Eckchen und heulte los.
Ich denke es war nicht allein die Gewissheit die mir dieses Papier gab, dass ich in Tränen ausbrach. Ich bin mir meiner besonderen Lebenslage ja durchaus bewusst und verschließe nicht die Augen vor den 2 Welten, die ich immer wieder versuche mit einer Brücke für beide Seiten begehbar zu halten. Es war gewiss der sogenannte Kur-Koller der nun auch mich traf. Und ich darf weinen. Ich darf verletzbar sein. Und ich darf es auch zeigen. Ohne Scham. Und deshalb beruhigte ich mich nach ein paar Minuten und ging zurück in den Panoramaraum und erzählte kurz und knapp von meinem Problem mit dieser Aufgabe. Und ich hatte das Gefühl es lag Verständnis im Raum. Nicht zuletzt deshalb weil einige Mütter im Nachhinein auf mich zukamen und mich einfach umarmten oder mir ein Gespräch angeboten haben.
Ich habe später auch zum Phone gegriffen und mich „zuhause“ geöffnet und nicht einfach die Starke gespielt. Das habe ich lange genug getan. Und wenn ich weiter der „Fliehkraft (kleine Tochter)“ und der „Erdanziehung (besondere Tochter)“ gerecht werden will muss ich offen sein. Denn Offenheit an den richtigen Stellen zu wagen ist Stärke.